„Es muss vorgelebt werden!“ „Soziales Kümmern“ ist ein Projekt des Landratsamtes, das ländliche Regionen lebenswert halten soll
VON TZ-CHEFREDAKTEUR SEBASTIAN STÖBER
TORGAU/NORDSACHSEN. Der Fakt ist unumstößlich: Nordsachsen wird immer älter. Schon vor Jahren hat die Kreisverwaltung beschlossen, das nicht bloß zu akzeptieren, sondern mit einer zentralen Strategie die Folgen aktiv anzugehen. Auf Grundlage dieser Strategie – dem „Seniorenbezogenen Leitbild“ wird bereits konkret gearbeitet. Aktuellstes Beispiel: Das Projekt „Soziales Kümmern vor Ort unterstützen“. Ende Mai trafen sich in dessen Rahmen an verschiedenen Standorten des Landratsamtes Menschen, die eines eint: In ihren Heimatorten kümmern sie sich um die Belange der Bewohner oder sie sind Ansprechpartner für die, die sich kümmern. „Das waren Leute aus Sportvereinen oder Heimatvereinen, aber auch Vertreter professioneller Strukturen wie Volkssolidarität, ASB oder AWO sowie Mitarbeiter von Verwaltungen“, berichtet Brit Gruhne, Sozialplanerin des Landkreises. Sie ist direkt der Sozialdezernentin unterstellt und mit der Mammutaufgabe betraut, das von ihr maßgeblich mitentwickelte Seniorenleitbild in allen Bereichen der Kreisverwaltung zu verankern – vom Sozialen über Infrastruktur bis zur Mobilität.
Soziale Hausmeister
Die Inspiration für das nordsächsische Kümmerer-Projekt holte sich Brit Gruhne aus Chemnitz. „Bei meinen Recherchen bin ich auf die ,sozialen Hausmeister‘ gestoßen“, berichtet sie. Diese seien für ältere Mieter Ansprechpartner Nummer 1 und Vertrauensperson, würden sich auch um Belange kümmern, die das Wechseln einer Glühbirne überschreiten. Weil die Strukturen im ländlichen Raum andere sind als in der Großstadt, kam eine Übernahme 1:1 nicht in Frage. Allerdings konnte der Verband Sächsischer Wohnungsbaugenossenschaften von der Kreisverwaltung als Projektpartner gewonnen werden. Die gemeinsam entworfene Umsetzungsidee für Nordsachsen präsentierte Brit Gruhne schließlich den Kommunen des Kreises. Ihre Kernbotschaft: „Wir wollen ganz nah an der Basis sein. Nur wenn unsere Angebote bei den Menschen direkt ankommen, werden wir erfolgreich sein.“
Nicht im luftleeren Raum
Die Reaktionen seien in der Breite sehr positiv ausgefallen, erinnert sie sich. Es habe aber auch kommunale Verwaltungen gegeben die Null Interesse signalisierten. Die Sozialplanerin hält das für falsch. „Wenn wir uns anschauen, in welche Richtung sich die Bevölkerung in den
kommenden Jahren verändern wird, ist die Schaffung stabiler sozialer Strukturen in den Kommunen eine zentrale Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge“, sagt sie. Das funktioniere aber nur, indem die Bevölkerung einbezogen werde. „Die Impulse dazu müssen auch von den Kommunen kommen, es muss vorgelebt werden.“ Brit Gruhne argumentiert damit nicht im luftleeren Raum. Ihre Erkenntnisse leiten sich aus einer Befragung ab, an der rund 1000 Nordsächsinnen und Nordsachsen ab einem Alter von 50 Jahren teilgenommen haben. Für das seniorenbezogene Gesamtkonzept wurden sie sehr detailliert unter anderem nach ihren Vorstellungen befragt, worauf sich Lebensqualität im Alter und auf dem Land begründet. Der Freistaat sieht das im Übrigen genauso und hat die Aktivitäten des Landkreises Nordsachsen, die auf dem Seniorenleitbild fußen, ordentlich finanziell ausgestattet. Die Sozialplanerin des Landkreises betont
aber, dass das Kümmerer-Projekt auch nach dem Auslaufen einer externen Finanzierung weitergeführt werden kann. „Diese Nachhaltigkeit war uns sehr wichtig.“ Nach dem gelungenen Premierentreffen im Mai steht zudem außer Frage, dass auch eine entsprechende Nachfrage existiert.
Genutzt haben die Kümmerer diese Termine natürlich zunächst, um sich auszutauschen. „Das war ein ganz konkrete Erwartung der Gäste“, weiß Brit Gruhne. Sie stellte das Projekt vor und auch den Ablauf, der drei weitere Treffen mit verschiedenen Schwerpunkten in diesem Jahr vorsieht. Schwerpunkt der ersten Runde war das Wohnen im Alter. „Die Veranstaltungen sind so konzipiert, dass Praxisbeispiele vorgestellt wurden, wir inhaltlichen Input zum Thema und die bereits im Landkreis vorhandenen Strukturen vermitteln konnten“, erklärt Brit Gruhne. „Die Leute waren überrascht, wie viele unterschiedliche Fördermöglichkeiten es für altersgerechtes Wohnen gibt und dass wir im Kreis Wohnraumberater haben, auf die jeder kostenneutral zugreifen kann.“ In Kürze erscheint die Broschüre „Ein Leben lang zu Hause wohnen“. Darin sind die wichtigsten Infos dazu zusammengefasst.
Auf Schloss Hartenfels konnte Nordsachsens Sozialplanerin Brit Gruhne rund 30 Interessierte zur lokalen Auftaktveranstaltung des Projekts „Soziales Kümmern vor Ort unterstützen“ begrüßen. Identische Veranstaltungen gab es auch andernorts im Landkreis. Mit Hilfe des Projekts sollen Menschen gefördert und unterstützt werden, die sich hauptberuflich und/oder in ihrer Freizeit um andere Menschen kümmern, beispielsweise in Vereinen oder Selbsthilfegruppen.
Fotos: Landratsamt/Alexander Bley